Nur Fliegen ist schöner ...

Ein Wochenende in der alten Heimat steht bevor und somit auch eine Reise mit der Deutschen Bahn, um sich dem Stress von verstopften Autobahnen und stundenlangen Staus zu entziehen, wie die lächelnden Gesichter der Bahnkunden einem von Plakaten suggerieren, als wäre es das reinste Wellnessprogramm, das man sich unbedingt gönnen sollte - trotz der horrenden Kosten. Ich gönne es mir, auch wenn ich mich jetzt schon das 5. Mal innerlich frage, ob ich für den Preis nicht lieber hätte fliegen sollen … ein kleiner Hauch von Luxus durch einen kostenlosen Kaffee und die Minitüte Chiochips von der perfekt gestylten Stewardess serviert mich als Frau von Welt hätte fühlen lassen. Okay, ich bin da wirklich nicht sehr anspruchsvoll. Aber schon allein diese dumme Geschichte mit diesen in 100ml abgepackten Flüssigkeiten lässt mich schon immer leicht nervös werden, so dass ich mich nach einigem Abwägen entgegen - Kaffee- Chio-Chips-Luxus und zu Gunsten Bahn-Wellness entschieden habe.


So trete ich meine Bahnreise an - selbstverständlich alles perfekt organisiert und vorbereitet, der Sitzplatz reserviert, weil ich sicherheitshalber nichts dem Zufall überlassen will. Ganz entspannt erreiche ich mit der S-Bahn und ohne Parkplatzsuche den neuen und modernen Bahnhof Südkreuz, die Reiseunterlagen haben mir vorab verraten, dass der ICE am Gleis 5 starten wird. Da ich überpünktlich bin, überlege ich, ob ich vorab noch eine letzte Besorgung erledigen kann, entscheide mich aber dennoch dagegen, weil ich mir ja vorgenommen hatte, das Wochenende ganz entspannt zu beginnen. Zufrieden mit meiner Entscheidung will ich schon die Rolltreppe zu Gleis 5 hinunter fahren, als ich einen letzten Blick auf die digitale Anzeige über der Rolltreppe werfe … und stutze. Ähm … mein ICE fehlt! Ich sehe mich um, irgendwo ein Mitarbeiter der Bahn, der mir meinen fehlenden Zug erklären kann? Nichts, nur hektische Bahnpassanten, die schon genervt sind, weil ich unschlüssig vor der Rolltreppe rum stehe, und den ganzen Verkehr aufhalte. Und schon erstirbt mir langsam das entspannte Lächeln auf den Lippen und die Unruhe kriecht langsam von meinem Bauch ins Hirn hinauf. Super, wo muss ich hin? Schon leicht beschleunigten Schrittes haste ich die anderen Rolltreppen ab, die zu den anderen Gleisen führen, und lese die jeweiligen Abfahrtsanzeigen. Gleis 3 … aha, da ist er ja … mein ICE der ja an Gleis 5 abfahren soll! Heute wohl nicht, wie es scheint. Erleichtert fahre ich die Rolltreppe hinab und bin froh, dass ich nicht doch noch die Besorgungen erledigt habe. Selbst mein ständig zu niedriger Blutdruck kann in ungeahnte Höhen schnellen, wenn ich 3 Minuten vor Abfahrt bemerke, dass der Zug nicht dort ist, wo er sein soll.


Schnell wird mir jedoch klar, dass meine Erleichterung etwas voreilig war, als ich feststelle, dass der Zug nicht in dem Wagenstandanzeige-Plan vermerkt ist …. logisch, weil er ja auch von Gleis 5 abfährt! Wer einmal Zug gefahren ist, weiß, wie furchtbar es ist, mit dem Gepäck durch einen Zug laufen zu müssen, weil man sich nicht gleich in den richtigen Wagon mit dem reservierten Platz eingestiegen ist. Grundsätzlich befindet sich der nämlich dann immer genau am anderen Ende. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich vielleicht noch versuchen kann, einer der unsichtbaren Bahnangestellten zu finden, die mir hierüber Auskunft erteilen können. Nach schon leicht gestresstem Hin- und Hergerenne finde ich tatsächlich eine Dame der Bahn. Auf meine Frage blättert sie hektisch in irgendwelchen Büchern … um sich dann mit 5 Fragezeichen in den Augen auf „zwischen C und D“ festzulegen. Irgendwie erscheint mir ihre Aussage nicht besonders vertrauenswürdig, aber ein weiterer Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich die Verlässlichkeit ihrer Aussage nicht mehr hinterfragen kann. Also … zwischen C und D … ich stelle mich genau in die Mitte. Der Zug fährt ein, und als sich die Fahrtgeschwindigkeit endlich in dem Level befindet, dass auch mein altersgeschwächter Blick die Wagennummern erfassen kann, sehe ich, dass Wagen 27 mit meinem reservierten Sitzplatz wohl schon vor geraumer Zeit an mir vorbei gefahren sein muss und sich vermutlich jetzt ungefähr in Zone A befinden dürfte. „Knapp vorbei“, schießt mir meinem Galgenhumor sei Dank durch den Kopf, beschließe in einem weiteren 100stel Bruchteil einer Sekunde meinen intuitiven Zweifeln zukünftig mehr Glauben zu schenken als unkompetenten Bahnbeamtinnen und renne grummelnd los. Mein Koffer mit den tollen Skaterrollen, die angeblich wie von allein fahren, eiert bedenklich und gerät fast augenblicklich ins Schlingern. Ein echtes Problem, da ein Herr, der vermutlich auch Bahnbeamten vertraut, mit ebenso schnellem Tempo in die entgegengesetzte Richtung rennt, und gerade noch in letzter Sekunde über meinen Koffer hechten kann, bevor der aus der Spur geratene solche ihm die Beine unter dem Gesäß wegschlagen kann. Zum Glück habe ich den Widerspenstigen im nächsten Moment schon wieder in meine Gewalt gezwungen, so dass ich schnell weiterflitzen kann und mir die Verwünschungen des Springers nicht mehr bis zum Schluss anhören muss. Völlig außer Atem und mit einer sicherlich beginnenden Sehnenscheidentzündung , die ich mir vermutlich durch die Bändigungsbemühungen meines störrischen Koffers zugezogen habe (ich werde den Hersteller anschreiben, dass in der Gebrauchsanweisungen besser Geschwindigkeitsbegrenzungen angegeben werden sollten), komme ich endlich an Wagen 27 an und renne fast in den Menschenpulk, der vor der betreffenden Zugtür steht.


Meine Herren, wir haben es eilig, der Zug soll eigentlich schon in 2 Sekunden aus dem Bahnhof rollen, wieso stehen die hier den so blöd rum und steigen nicht ein? Ratlos und schnaufend stehe ich zwischen nervös dreinblickenden Fahrgästen … wir schieben gemeinschaftlich ein bisschen … und schaffen es dann doch noch zumindest die Stufen hinauf, bevor unsere Fortbewegungsbemühungen wieder zum Erliegen kommen. Mit einem Blick über die Köpfe hinweg – 180cm Größe können durchaus auch Vorteile haben – gelingt es mir, die Ursache hierfür zu erahnen. Scheinbar sind alle Fahrgäste falsch eingestiegen und versuchen nun verzweifelt, zu ihren Plätzen zu gelangen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, denn die Gänge sind in der Regel nicht zweispurig für Gegenverkehr ausgelegt. Also befinden wir uns in einem völlig chaotischen Übereinanderklettermanöver, Gepäck wird gezerrt, verhakt sich im Koffer der Dame, die wiederum mit ihrem 30kg-Koffer genau in die andere Richtung wollte. Ein Herr schreit, weil sein Fuß auch noch zwischen die kollidierenden Koffer geraten ist, ein anderer faucht einen weiteren Fahrgast an, weil der sich beim Vorbeischieben in seiner Jacke verfangen hat. Der Typ mit dem komischen Hahnenkamm, der mich schon beim Einsteigen fast auf der anderen Seite wieder herausgeschoben hat und mir dabei unaufhörlich zischend seinen Unmut ins Ohr gespuckt hat, brüllt nun die Dame mit dem 30kg Koffer an: „Ey Mann, jetzt tu doch endlich mal deinen Scheißkoffer da weg, ich muss da durch, verdammte Scheiße“. Ach nee, wir stehen hier ja nur so aus Spaß rum und spielen: wie lösen wir den gordischen Knoten … na so ein Scherzkeks. Und die Dame sieht auch nicht aus wie David Copperfield … der sicherlich keine Probleme hätte, einen Monsterkoffer innerhalb von Sekunden in Luft aufzulösen. Ich dachte mir doch gleich, dass diese bescheuerte Frisur zu dem Typen passt. Ein Kampfgockel … und ich lächele ihm süffisant in seine verzerrte Kampfgrimasse und flöte: „Ich bin sicher, so ohne Aggressionen kommen wir sogar alle ohne Stich- und Schusswunden zu unseren Plätzen.“ Seiner sich in einen tiefen Rotton verändernden Gesichtsfarbe konnte ich entnehmen, dass er meine Äußerung nicht besonders komisch fand, aber glücklicherweise war er zu sehr damit beschäftigt, das Koffermonster mit Tritten zu bearbeiten, als dass er noch Energien für mich übrig gehabt hätte. Herrje, denke ich mir, dabei wollte ich mir das doch ernsthaft abgewöhnen. In solch brenzligen Situationen kann jede Form von Humor wirklich fatale Folgen haben. Ich bin einfach zu impulsiv … ich sollte mich besser beherrschen, wenn ich nicht in Zukunft meine Knochen einzeln zählen möchte.


Endlich schaffe auch ich es zu meinem Platz, die blauen Flecken und Abschürfungen kann ich später zählen, und bemerke frustriert, dass da schon einer sitzt. Der Herr, der aufgrund seiner glücklichen Lage von dem Hin- und Hergeschiebe nicht betroffen zu sein, absolut in sein auf den Knien liegendes Notebook vertieft ist, bemerkt mich erst, als ich ihm energisch auf die Schulter tippe. „Entschuldigen Sie bitte, aber sie sitzen auf meinem Platz! Ich habe reserviert!“ Sofort versteinert sich seine Miene, von der ich mich aber nicht abschrecken lasse. Mit einem Ich-bestehe-auf-mein-Recht-Blick sehe ich ihm fest in die Augen, woraufhin er keift: „sie haben sich bestimmt im Wagen geirrt! Hier steht nix von reserviert.“ „Nee, aber da steht - ggf. freigeben - … und der gegebene Fall ist hiermit eingetreten!“ erwidere ich und winke mit meiner Platzreservierung, die ich umständlich aus meiner Tasche gezerrt habe. Mit grimmiger Miene und provozierender Ruhe fängt er an, umständlich seine Sachen zusammen zu packen. Von hinten wird schon wieder gedrückt und ich sitze ebenfalls provokativ schon halb auf seinem Schoß. Was du kannst, kann ich doch schon lange, denke ich. Er streckt die Waffen und quetscht sich in die sowieso schon heillos überfüllte Durchgangsspur, was zu einem erneuten Tumult führt, aber nicht, ohne mir vorher noch seine Aktentasche in die Seite zu rammen. Seufzend sinke ich auf meinen hart erkämpften 8EUR-Reservierungsgebühr-Platz, und denke mir: soviel zu meiner durchorganisierten, stressfreien Wellness-Bahnfahrt. Von Yogafeeling und ayurvedischem Wohlbefinden bin auf jeden Fall meilenweit entfernt ..... oooooohhhhhhhmmmmm!!!


Die Flecken habe ich mittlerweile gezählt … 4 … einer hat verdächtigerweise die Form einer Kofferrolle? Vielleicht sollte ich demnächst doch lieber auf das Wellnessprogramm der Bahn verzichten. Dagegen wirkt das Flüssigkeiten-Eintüten auf dem Flughafen doch wie 5 Sterne-Luxusprogramm … und Chips esse ich einfach für mein Leben gern!

Kommentare 3

  • haha ....


    klasse
    gut geschrieben und die Spur Ironie dabei ^^

  • Ja ja fliegen kann so entspannt sein - wenn - ja wenn da nicht der Umweltgedanke im Weg wäre....

  • WOW.... heftig... wer eine Reise tut...

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